Alt werden in Deutschland: Ausblick auf Altersbericht der Bundesregierung
Prof. Teti über seine Mitarbeit in der Expertenkommission

18. Januar 2023
Nur einmal in jeder Legislaturperiode veröffentlicht die Bundesregierung einen Altersbericht zur Lage der Senior*innen in Deutschland. Dafür beruft sie Sachverständige, die jahrelang in einer Expertenkommission an dem Bericht arbeiten. Auch Prof. Dr. Andrea Teti von der Universität Vechta wurde in diese Alterskommission berufen. Im WiN-Interview gibt er einen Vorausblick auf den Altersbericht, der im Frühjahr 2024 vorgestellt wird, und spricht über die Lage der älteren Generationen Deutschland.
TF: Herr Teti, lassen Sie uns doch erstmal den Wert dieser Altersberichte einordnen. Was bewirken die nämlich?
I: Die Berichte werden mit genutzt als Grundlage für die Entwicklung von Sozialpolitiken in der laufenden Regierung. Darüber hinaus haben sie eine enorme öffentliche Sichtbarkeit, das heißt die Themen, die sie behandeln, werden für eine ganze Legislatur immer wieder medial aufbereitet, um auch die Bevölkerung zu sensibilisieren, sich diesen Themen zu nähern.
TF: Sie sind ja Spezialist für die Wissenschaft des Alters an der Universität Vechta, da leiten Sie das Institut für Gerontologie. Welchen Hintergrund bringen Sie dadurch in die Expertenkommission ein?
I: Wir sprechen von der Gerontologie als multidisziplinäre Perspektive, die Erkenntnisse aus der Medizin, aus der Epidemiologie, aus der Wirtschaft, aus den Rechtwissenschaften in einen Zusammenhang bringt. Ihre Stärke ist, sich da zu bedienen, wo es fundierte Ergebnisse sich aus anderen Disziplinen ergibt, diese in Verbindung bringen und kritisch zu diskutieren.
Das ist wichtig, weil wir uns in einer Gesellschaft befinden, die stetig altert. Das wurde in den 90er Jahren als Demografischer Wandel zum Thema gemacht. Jetzt im Jahr 2023 ist der demografische Wandel bereits eingetreten und wir müssen uns damit auseinandersetzen was passiert, wenn plötzlich ein größerer Teil unserer Gesellschaft mehr Unterstützung bedarf als sie tatsächlich angeboten wird.
TF: Und wie sieht Ihre Rolle in der Berliner Kommission aus?
I: Mit den anderen Kollegen und Kolleginnen werden dort Teams gebildet, um bestimmte Aspekte, die wir in der Forschung vertreten, auf Papier zu bringen. Mit dem Anspruch, das best verfügbare empirische und theoretische Wissen für Deutschland zu einem bestimmten Thema zur Verfügung zu stellen. Ich stehe im Altersbericht für einige Themen, die gehen von der Teilhabe der LGBTQIAs* und Menschen mit Migrationshintergrund. Aber auch für Themen, die zu den Verhältnissen des Alters gehört z.B. Wohnen, Mobilität, digitale Kompetenz usw.
*LGBTQIA ist eine Abkürzung der englischen Begriffe für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen. Sie werden oft wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gefühlten Geschlechts diskriminiert.
Wie schafft man es, als Wissenschaftlerin in eine so prominente Kommission berufen zu werden? Andrea Teti über den Ruf und die Arbeit in der Alterskommission der Bundesregierung.
TF: Können Sie uns schon einen Vorausblick auf den kommenden Bericht geben – welche Themen werden da drin stehen?
I: Es geht besonders um die Möglichkeit, gesellschaftliche Teilhabe im Alter zu gewährleisten. Da drin stecken viele Unterthemen: von der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit und Vielfalt zum Beispiel. Und auch die aktuellen Krisen – Klimawandel, Corona Pandemie, Krieg usw. Besonders dringlich für die gesellschaftliche Teilhabe sind auch Mobilität oder die Wahrnehmung von Altersbildern auf gesellschaftlicher Ebene.
Es gibt nämlich auch Altersdiskriminierung, die im Alltag oft nicht wahrgenommen wird. Wir bedienen sie oft unbewusst. Sie beeinflusst die gesellschaftliche Teilhabe Älterer aber ganz erheblich.
TF: Ist das auch ein Themenfeld, das Sie selber bearbeiten?
I: Ich bin persönlich nur zum Teil beim Thema Altersdiskriminierung Befragter und zwar im Bezug auf Gruppen und älteren Menschen mit Migrationshintergrund oder LGBTQIA [ERKLÄRUNG] im Alter.
Es geht hier aber auch um die gesamte gesellschaftliche Wahrnehmung von Altersprozesssen. Wir wissen aus vielen Umfragen, dass älteren Menschen überproportionale politische Macht zugeschrieben wird, dadurch bestimmte Vorzüge gegenüber anderen Generationen genießen. Teilweise um altersdiskriminierende Meinungen führen zu können. Das sind aber alles Sachen, die empirisch relativ einfach zu widerlegen sind.
TF: Hat sich denn das Bild der Älteren in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten auch verändert?
I: Ja, ganz maßgeblich, und das kann man zum Beispiel an der Werbung sehen. Wir kommen jetzt von diesem defizitorientierten Bild, das Unterstützungsbedarf oder Erkrankung zeigt, auf neue Altersbilder, die eher das gesunde, aktive erfolgreiche Altern darstellen. Und das hat verschiedene Gründe. Zunächst das unbestrittene erhöhte Lebenserwartung. Aber auch einen gesellschaftlichen Wandel, vielleicht die Tatsache, dass die Zeit von definierten Rollenverteilungen geprägt ist. Wie etwa: Erwerbstätige Menschen haben erwerbstätig zu sein, die Familie zu unterstützen und finanzieren. Und dann kommt die Zeit, wo man sich im Ruhestand zurücklehnen kann. Das ist lange schon passé.
TF: Das Bild hat sich also zum Positiven gewandelt. Wie sieht im Vergleich dazu die Realität aus: Wo sehen Sie die Herausforderungen für ältere Generationen momentan?
I: Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir wissen, es gibt unterschiedliche Zugänge zur Gesellschaft und Teilhabe. Und diese sind wenig verhaltensbedingt, sondern verhältnisbedingt. Das bedeutet, ich kann die soziale Teilhabe erzielen, wenn ich eine positive Einstellung dazu habe und auch über die Mittel dazu verfüge. Das sind materielle und immaterielle Güter, wie Geld und auf der anderen Seite Bildung oder soziale Unterstützung.
TF: Können Sie für beide Seiten ein Beispiel aus dem Leben geben?
I: Teil der Gesellschaft zu sein bedeutet auch reisen, Menschen treffen, weggehen, kulturelle Angebote in Anspruch nehmen usw. Dafür brauche ich einerseits finanzielle Mittel, andererseits brauche ich eine Ermöglichung, sei es ein barrierearmes Umfeld oder ein Angebot, welches auch von älteren Menschen wahrgenommen werden kann.
TF: Und wie sieht das aus mit dem ganzen digitalen Feld? Das ist ja komplett abgekoppelt von der Schulbildung, die jemand vor 50 oder 60 Jahren hatte. Heute kommen ja immer wieder neue Anforderungen für Teilhabe in kurzen Innovationsschritten.
I: Ja, genau, das ist ein großes Thema. Es gibt eine Form von digitalem Analphabetismus unter den Älteren und unter Menschen im jungen oder mittleren Alter, die irgendwie nie Zugang haben wollten oder konnten mit digitalen Medien. Man darf aber die ältere Generation hier nicht unterschätzen. Es wird dieser Generation viel weniger digitale Kompetenz und Affinität zugeschrieben, als sie in der Tat hat. Man kann auch sehen wie schnell sich ältere Menschen mit wenig Hilfe in den Pflegeeinrichtungen während der Corona Zeiten sich mit digitalen Medien anfreunden konnten, um die Teilhabe zu bewahren, also um die soziale Unterstützung aufrecht zu erhalten.
TF: Wenn Sie auf die nächsten Jahre für ältere Generationen in Deutschland schauen, sehen Sie da eher eine positive Entwicklung?
I: Ja. Mit dem Eintritt der Babyboomer in das höhere Lebensalter eröffnen sich neue Möglichkeiten. Zum ersten Mal kommt eine Generation ins Alter, die unterschiedliche, vielfältigere Lebensmuster und Sozialkonstellationen erlebt haben. Zum Beispiel die Rolle der Frau, die sich von der Kindererziehung und Haushaltsaufgaben gelöst hat und selbstverständlich einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
Sie haben auch verschiedene Wohnsituationen und Wohnformen erlebt, mit WGs oder der Anforderung einer höhere geografische Mobilität. Es kommt jetzt mehr Vielfalt in die Generation älterer Menschen und das kann nur positiv für das Selbst- und Fremdaltersbild werden.